Die Kulturszene und Corona – Im Gespräch mit Kristian Lucas

In der Spielzeit 2019/2020 vom Theater Lüneburg warst du dort gleich in zwei Inszenierungen, “Singin’ in the Rain” und “Doktor Schiwago” zu sehen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Erzähl doch ein wenig darüber.

Was war dein persönliches Highlight?

Da ich beide Produktionen sehr gerne gespielt habe, lässt sich das nicht so einfach sagen. Beide stellen für mich ein Highlight da. SINGIN’, weil ich mal wieder meine komische Seite zeigen konnte und mich in einem fantastischen, großen Ensemble bewegen durfte. Doktor Schiwago, weil das Stück einfach unglaublich toll ist, und die Arbeit so intensiv und spannend war, dass es jeden Abend eine besondere Magie für mich hatte, was auch an einem perfekten Zusammenspiel aller Beteiligten lag.

Vor welchen Herausforderungen standet ihr?

Die größte Herausforderung für mich war sicherlich das Steppen in SINGIN’ IN THE RAIN. Ich gebe zu, dass dies nicht zu meinen Kernkompetenzen gehört. Deshalb habe ich mir im Vorfeld professionelle Unterstützung gesucht, um mich bestmöglich darauf vorzubereiten. Unser Choreograph Sean Stevens hat uns dann alle bei der Erarbeitung der Choreographien optimal unterstützt.

Wie empfandest du die Rolle des Cosmo? Die Tanznummern waren im Film schon sehr anspruchsvoll. Wie war es, das auf der Bühne umzusetzen?

Cosmo ist der liebenswerte Freund im Hintergrund, der immer wieder für Auflockerung sorgt. Gerade das macht es spannend. Besonders das Timing in Sachen Komik spielt hier eine wichtige Rolle. Dabei nicht den Fokus zu sehr auf sich zu ziehen ist dabei die Kunst. Auffallen, aber nicht um jeden Preis. Alles fein dosiert!

Kristian Lucas als Cosmo Brown mit Gerd Achilles, der den Don Lockwood in der Lüneburger Inszenierung von “Singin’ in the Rain” verkörpert.

Wie geht man überhaupt mit so einem Klassiker der Musicalgeschichte um, den die meisten nur als Film kennen und den auch erwarten?

Die schwierigste Umsetzung auf der Bühne war sicherlich der Regen. Regisseur Olaf Schmidt und Bühnenbildnerin Barbara Bloch haben lange daran getüftelt, um nicht den gesamten Bühnenraum zu fluten, aber trotzdem einen tollen Effekt zu erzielen. Einen solchen Filmklassiker auf der Bühne zu zeigen, ohne verglichen zu werden, ist eigentlich unmöglich. Als Darsteller möchtest und musst du trotzdem deine eigene Figur finden und musst dich davon frei machen, etwas kopieren zu wollen. Das gilt eigentlich so für die gesamte Produktion. Klar, Musik und Dialoge sind in so einem Fall überwiegend gleich, aber die Herausforderung liegt darin, sie anders zu präsentieren. Bühne und Film lassen sich allgemein nur schwer vergleichen. Beide Medien haben völlig unterschiedlich Möglichkeiten. Trotzdem möchte der Zuschauer natürlich die ihm bekannten Passagen aus dem Film auch auf der Bühne wiedererkennen. SINGIN’IN THE RAIN ohne Regen – undenkbar! Aber hier das gesunde Mittelmaß zu finden, darin liegt die Kunst und die Herausforderung. Ich denke, dass ist uns allen sehr gut gelungen.

Doktor Schiwago – wie waren die Herausforderungen bei dieser Rolle?

Im Unterschied zu den anderen Inszenierungen, die ich gesehen habe, war bei euch nicht alles ganz so tragisch – aber am Ende musste ich mehr schlucken, was bei den anderen „Ausführungen“ nicht so war. Wie kam es zu diesen „Auflockerungen“? Auch gab es bei eurer Inszenierung Schlag auf Schlag….

Bei DOKTOR SCHIWAGO gab es viele Herausforderungen, die unserem Regisseur Olaf Strieb, aber auch uns Darstellern, sehr wichtig waren. Das Stück ist an sich schon sehr lang, hat unglaublich viele Schauplätze, die oft innerhalb der Songs wechseln. Lüneburg ist es gelungen, genau hier Tempo zu machen und die Bühnenverwandlungen nicht aufwendig erscheinen zu lassen. Oft haben kleinste Veränderungen einen völlig neuen Bühnenraum geschaffen. Der Zuschauer sollte dadurch nicht aus der Handlung gerissen werden, sondern bewusst bei der Geschichte und den Figuren bleiben. Auch der direkte Anschluss der nächsten Szene, ohne Applaus abzuwarten, hat hierzu beigetragen.

Ziel war es aber auch, das Stück nicht zu schwerfällig wirken zu lassen, zumal viele Songs wunderschön und doch recht kitschig sein können. Aber genau das wollten wir vermeiden. Alles sollte so natürlich und selbstverständlich wirken wie möglich. Daher vielleicht der Eindruck, dass es in Lüneburg nicht ganz so dramatisch war, wie in anderen Inszenierungen. Aber gerade das ermöglichte dann, dieses bedrückende und angespannte Gefühl bei den Zuschauern zum Ende hin zu erzeugen, weil alles so „normal“ gewirkt hat. Der Zuschauer hat bis zum Schluss mitgefiebert und konnte voll und ganz in die Geschichte eintauchen. Das Tempo führte aber wiederum dazu, dass die Figuren auf der Bühne äußerlich nicht altern konnten. Da aber die Geschichte so klar aufgebaut war, hätten wir auch alle komplett in schwarz gekleidet spielen können, und der Zuschauer hätte der Geschichte trotzdem folgen können. Es lag also an uns Darstellern, unsere Figuren so lebendig und authentisch wirken zu lassen, dass unser Publikum dies alles gar nicht bewusst bemerkt, sondern sich lediglich auf die Entwicklung der Figuren und ihre Schicksale konzentriert. Dank unseres Regisseurs und einem wundervollen Ensemble ist uns dies offenbar sehr gut gelungen.

Gab es ungewöhnliche Situationen während den Aufführungen? Wie seid ihr damit umgegangen.

Es gibt immer Kleinigkeiten, die während einer Vorstellung passieren können. Ziel ist es dann, es geschickt zu überspielen, sodass der Zuschauer es hoffentlich nicht merkt.

Bei Doktor Schiwago hatte ich häufiger mit unserem Kunstschnee zu kämpfen. Es handelt sich hierbei um ganz dünne, kleine Plastikfolienschnipsel, die aus dem Schnürboden fallen. Wie viele ich davon insgesamt eingeatmet habe, möchte ich gar nicht wissen. Gott sei Dank gab es nur eine Situation, in der ich nicht wusste, ob ich wieder Luft bekomme oder nicht. Nachdem Jurij aus dem Gefangenenlager flüchtet, gibt es auf der Bühne eine Verfolgungsjagd, bei der ich viel auf der Stelle, aber auch einmal komplett über die Hinterbühne auf die andere Seite rennen musste, um dann, natürlich mitten im Schneefall, erschöpft in Laras Armen zusammenbrechen. Da unmittelbar ein Duett zwischen uns folgte, habe ich immer versucht gut und kontrolliert zu atmen, und dabei ist es halt passiert. An diesem Abend bin ich wirklich sehr glaubhaft erschöpft zusammengebrochen. Aber am Ende ist alles bestens gelaufen.

Bei Singin’ waren es oft die komischen Momente, die es einem schwer gemacht haben ernst zu bleiben. Gerade wenn Lina die Torte ins Gesicht bekommt, ist es an sich nach all der Zeit nicht wirklich mehr komisch. Aber da die Torte jedes Mal anders getroffen hat, war es immer wieder aufs neue eine Überraschung, was passieren würde. Das war schon oft sehr komisch. Oder aber im großen Finale klemmt der Regenschirm. Natürlich in der ersten Reihe. All diese Sachen, machen eine Vorstellung auch für uns jeden Abend aufs Neue spannend.

Die Fluchtszene im Kunstschnee in “Doktor Schiwago”

Die verbliebenen Vorstellungen ab März konntet ihr wegen des Lockdowns dann nicht mehr spielen. Auch dein Engagement beim Schmidt Tivoli im Dauerbrenner „Heisse Ecke“ fiel dem zum Opfer – was geht in so einem Moment in einem vor? Wie hat es sich angefühlt, monatelang zuhause sein zu müssen und nicht arbeiten zu können?

Um ehrlich zu sein, es fühlt sich ganz schrecklich an, und tut es noch immer. Zunächst gingen ja alle irgendwie davon aus, dass nur ein paar Vorstellungen ausfallen, bzw verschoben werden. Aber dass wirklich Schluss war, damit konnte keiner rechnen. Es ist zwar normal, dass eine Spielzeit irgendwann zu Ende geht, aber darauf bist du eingestellt. Du spielst ganz bewusst eine letzte Vorstellung, nimmst auf deine Weise Abschied von der Produktion, dem Stück, deiner Rolle, den Kolleginnen und Kollegen, dem Theater und deinem Publikum. Das fiel alles weg, ohne darauf vorbereitet zu sein. Das war hart. Singin’ in the Rain wird ja nun noch einmal für ein paar Vorstellungen in der Speilzeit 2020/2021 am Theater Lüneburg wieder aufgenommen. Aber Doktor Schiwago ist einfach weg. Wir hätten noch einige Vorstellungen gehabt, viele Freunde und Kollegen wollten noch kommen, und der Kartenverkauft war wirklich sehr gut. Aber nun, ja. Es ist nicht zu ändern.

Und was HEISSE ECKE betrifft, hat es für mich zunächst schneller aufgehört, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. Die Hoffnung ist groß, dass ich wieder im Tivoli auf der Bühne stehen kann, zumal auch noch eine Premiere für mich in einer anderen Rolle aussteht. Wann das genau sein wird, wir wissen es nicht.

Wie hat sich diese Situation auf dein Familienleben ausgewirkt?

Privat hat sich dadurch natürlich, so wie bei allen, vieles geändert. Ich sag mal so, der Garten war noch nie so gut in Schuss, und die Fenster nie sauberer. Aber Spaß bei Seite. Da ich in den letzten Jahren im Sommer immer woanders gearbeitet habe (Freilichttheater/Musicalsommer), hatte ich bis Mitte Mai eigentlich meine „normale“ Routine. Ich habe Meine Steuerklärung gemacht, Garten und Haus für den Sommer fit gemacht, und was halt sonst so immer erledigt werden musste, bevor es in den Sommerjob ging. Aber dann, ab Mitte Mai, fühlte es sich schon sehr anders an. Klar, Restaurantbesuche vielen schon viel früher weg, Freunde habe ich auch nicht gesehen, und mal eben in die Stadt gehen war auch nicht drin. Da ich aber am Tivoli und auch in Lüneburg nur vereinzelt Vorstellungen gespielt hätte, viel der Wegfall nicht ganz so auf, als wenn ich 8 Vorstellungen die Wochen gespielt hätte.

Womit habt ihr euch/du dich/ in dieser Zeit beschäftigt?

Nachdem meine Vorsommer-Jahres-Routine erledigt war, bin ich Gott sei Dank nicht in ein tiefes Loch gefallen. Geholfen hat mir dabei die Tatsache, dass ich immer noch angestellt war und bin, und so ganz klar unter die Kurzarbeit Regelung gefallen bin. Ich musste keine Hilfen beantragen, was viele meiner Kolleginnen und Kollegen viel Kopfzerbrechen bereitet hat. Ich habe mich also auf einen unerwarteten Sommer (mein erster seit 21 Jahren) in Hamburg gefreut und viele Projekte in Angriff genommen, die über die Jahre liegen geblieben sind. Und ja, ich habe einfach mal durchgeatmet, was in meiner Situation erfreulicherweise möglich war.

Hat diese Zwangspause etwas Gutes gebracht?

In vieler Hinsicht hat es bestimmt auch sein Gutes, für die Umwelt definitiv. Erkenntnisse im Bereich Homeoffice, Videokonferenzen etc. . Auch sind sich viele Menschen in dieser Zeit wieder nähergekommen, haben sich darauf besonnen, wie gut es uns in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern geht. Umdenken in den Bereichen Pflege und Grundversorgung. Es gibt da noch ganz vieles, was sich verändern wird. Aber die Frage ist, zu welchem Preis! Und braucht es erst solch eine Pandemie, dass das so passiert?

Wie beurteilst du die finanzielle Unterstützung durch die Regierung? Wurden die freischaffenden Künstler vergessen?

Ich muss zugeben, dass ich mich mit dieser Thematik nicht sehr intensiv auseinandergesetzt habe, da ich durch meine Kurzarbeit nicht darauf angewiesen war und bin. Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht, auch ich habe viel gerechnet. Ich denke aber, dass in allen Bereichen der Hilfszusagen und Förderungen so viel gleichzeitig passiert ist, dass vieles nicht konsequent zu Ende gedacht und umgesetzt wurde. Auch, dass jedes Bundesland eine andere Vorgehensweise hatte. Das bekommt die Branche jetzt leider zu spüren, allein was die Rückzahlungen betrifft. Aber ganz klar ist zu sagen, dass gerade die freischaffende Szene viel zu spät bedacht wurde.

Als Manni miit Stefanie Schwendy und Maraile Woehe im Juli 2020 als Einlassteam ins Schmidt Tivoli

Zurzeit begleitest du als Figur aus dem Musical „Heisse Ecke“ die Zuschauer, die wieder ins Theater kommen zu ihren Plätzen bei den Aufführungen von „Paradiso“ im Schmidts Tivoli. Wie ist das für dich? Wie sehr vermisst du es, selbst auf der Bühne zu stehen?

Natürlich vermisse ich die Bühne sehr. Wichtig ist aber zunächst, dass der Betrieb in den Theatern langsam wieder losgeht, der Zuschauer Vertrauen in die Hygienekonzepte hat und sich sicher fühlt. Wenn ich als Darsteller in meiner Rolle dem Zuschauer dabei helfen kann und dafür Sorge, dass überzeugende Konzepte hoffentlich bald zu weiteren Lockerungen der Auflagen für Theater führen, so finde ich es unerlässlich, dabei zu helfen. Der Zuschauer muss mit ins Boot geholt werden, um bei den Behörden und Landesregierungen nach weiterer Kulturöffnung zu fordern. Und das funktioniert erst, wenn er sich im Theater gut aufgehoben und unterhalten fühlt. Das fängt im Tivoli bereits beim Einlass vorm Theater an.

Soweit ich weiß, seid ihr dort in Teams eingeteilt – wie sieht das genau aus?

Es sind immer drei Kolleginnen und Kollegen dazu eingeteilt. Allerdings wurden wir vorher gefragt, ob wir dazu bereit sind. Zu unseren Aufgaben gehört es, das Publikum mit den Hygienemaßnahmen vertraut zu machen und sie in das Theater zu begleiten. Das Haus ist in drei Sektionen unterteilt, die durch drei verschieden Eingänge betreten und verlassen werden. Bestimmte Einlasszeiten verhindern zu viele Personen auf einmal vor einem Eingang. Und da das alles sehr theoretisch und auch ungewohnt ist, sorgen wir bereits vor der Vorstellung in unseren Rollen für eine aufgelockerte und entspannte Atmosphäre.

Dabei müsst auch ihr Masken tragen – gab es dort auch schon Diskussionen mit Passanten oder Gästen? Wie löst ihr das?

Bisher haben wir nur positive Stimmen über die Umsetzung und Durchführung des Hygienekonzeptes gehabt. Die Zuschauer sind einfach froh darüber, dass sie wieder ins Theater gehen können, und das sagen sie uns auch. Auch wenn sie momentan die HEISSE ECKE nur vorm Theater bekommen, kommen auch mit Paradiso alle auf ihre Kosten.

Die Bereitschaft Maske bis zum Sitzplatz zu tragen ist da, und die Hände desinfizieren gehört für uns alle ja mittlerweile zum Alltag. Insofern haben wir immer einen sehr entspannten, lustigen und abwechslungsreichen Kontakt zu unserem Publikum.

Mimik und Gestik sind in eurem Beruf ja nun wirklich sehr wichtig und das fällt nun weg……

Nicht so ganz. Im Tivoli können wir derzeit Heisse Ecke u.a. deswegen nicht spielen, weil die Abstandsregelungen auf und hinter der Bühne nicht einzuhalten sind. Bei Paradiso sind es weniger Darsteller, die alleine als Künstler auf der Bühne agieren. Das Tragen von Mund-Nase-Schutz ist da nicht nötig. Viele andere Theater haben jetzt ihren Spielplan Corona-Konform angepasst, spielen Stücke mit weniger Personen, die sich gut auf Abstand inszenieren lassen. So spiele ich ab Dezember am Theater Lüneburg wieder COMEDIAN HARMONISTS in eben einer solchen Fassung. Der Phantasie und Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt.

Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels! Wie sieht dein Licht aus?

Tja, das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Natürlich habe ich ein paar Projekte, die in naher Zukunft umgesetzt werden. Comedian Harmonists und Singin’ in the Rain am Theater Lüneburg. Und Heisse Ecke kommt auch wieder, sobald es geht. Aber wie entwickelt sich das Infektionsgeschehen in der nächsten Zeit, gerade wenn es wieder kälter wird und vieles nicht mehr im freien stattfinden kann? Wir wissen es nicht. Wir können nur alle gemeinsam dafür sorgen, dass wir verantwortungsvoll mit unseren Mitmenschen und uns selbst umgehen. Das fängt beim nötigen Respekt jedem Einzelnen gegenüber an, und hört bei der Einhaltung der üblichen Hygiene- und Abstandsregeln auf. Darüber hinaus müssen wir in unsere Systeme vertrauen und uns in Geduld üben. Eigene Energie aufsparen für Zeiten, in denen wir sie vielleicht dringender brauchen.

An dieser Stelle sagen wir vielen Dank an Kristian Lucas und wünschen Ihm alles Gute für die Zukunft!

Interview: Nathalie (September 2020)